AK Europa Event: Faire Mindestlöhne im Zeitalter der Plattformwirtschaft, Februar 2020
Reproduktion eines Beitrags des Büros der Österreichischen Bundesarbeitskammer in Brüssel
Mit einer aktuellen Veranstaltung, welche am 3. Februar 2020 in Brüssel stattgefunden hat, widmeten sich AK EUROPA und das ÖGB Europabüro zwei wichtigen Themenbereichen: Zur Plattformarbeit und zu Mindestlöhnen diskutierte Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA-djp, mit Vertreter*innen der europäischen Institutionen sowie der Wirtschaft. Beide Themen werden auf der politischen Agenda Europas dieses Jahr einen hohen Stellenwert einnehmen.
Plattformarbeit - Herausforderungen und Lösungsansätze
Das Thema Plattformarbeit ist eine große Herausforderung für die Gewerkschaften, leitete Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA-djp, ein. Auch darüber hinaus sei atypische Beschäftigung schon zu einem Massenphänomen geworden. Amazon arbeite etwa ausschließlich mit Leiharbeitskräften, ähnliches sei im Bereich der FahrradbotInnen üblich. Hier ist es der Gewerkschaft in Österreich gelungen, einen der ersten Kollektivverträge abzuschließen. Aus gewerkschaftlicher Perspektive gelte es, neue Ansätze der Organisierung zu entwickeln, welche sowohl in der realen Welt, als auch im Netz stattfinden können.
Die Europäische Kommission hat zum Thema Plattformarbeit für das 3. Quartal 2020 einen Gipfel angekündigt, dessen Ergebnisse in einen europäischen Rechtsakt zur Plattformarbeit einfließen sollen. Aus Sicht der Kommission hielt Santina Bertulessi, stv. Leiterin im Kabinett von Sozialkommissar Schmit, fest, geht es beim Thema Plattformarbeit darum, einen ausgewogenen Ansatz zu verfolgen. Die Prekarität der Plattformarbeit sei auch aus Kommissionssicht problematisch. Hier müsse insbesondere eine Lösung gefunden werden, wenn ArbeitnehmerInnen über längere Zeiträume über eine Plattform arbeiten. Auch in den geplanten Digital Services Act sollen die Überlegungen zur Plattformarbeit einfließen.
Agnes Jongerius MEP, S&D Koordinatorin im EP-Beschäftigungsausschuss, verwies darauf, dass sich Plattformen zwar nach außen als „modernste ArbeitgeberInnen“ präsentieren. Die Menschen, die tatsächlich über Plattformen arbeiteten, würden jedoch nicht als ArbeitnehmerInnen, sondern als „PartnerInnen“ bezeichnet und oftmals auf Arbeitszeiten von 60-80 Stunden kommen. Bestätigt wurde dieses Modell nun durch ein fragwürdiges niederländisches Gerichtsurteil. Jongerius warnte davor, dass sich das Plattformmodell auf weitere Sektoren ausweiten könnte, etwa auf Supermarkt-kassiererInnen und BauarbeiterInnen, wie es eine neue Studie der Bank ING vorschlage.
Maxime Cerutti, Direktor für soziale Angelegenheiten bei BusinessEurope, nahm eine abweichende Position zu Plattformarbeit ein. Diese sah Cerutti als Phänomen der Modernisierung des Wirtschaftssystems, in welcher es „differenzierte Realitäten“ und „differenzierte Formen der Beschäftigung“ gäbe. Es gelte auch, die Perspektive der Unternehmen zu berücksichtigen und nicht alle Menschen würden das Ziel verfolgen, am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Aus Sicht Ceruttis wäre eine Behandlung des Themas im Rahmen des Europäischen Semesters sinnvoll.
Mindestlöhne in Europa
Am 14. Jänner 2020 hat die EU-Kommission gemeinsam mit der neuen Roadmap Social Europe auch die erste Phase der Sozialpartner-Konsultation zur Frage gerechter Mindestlöhne eingeleitet. In der Initiative zu einem europäischen Mindestlohn sieht die Kommission ein Instrument zur Bekämpfung von Erwerbsarmut und wachsender Ungleichheit. Am Podium der Veranstaltung betonte die Kommissionsvertreterin Santina Bertulessi, dass nationale Kollektivvertragssysteme nicht angegriffen werden sollen.
Positiv zum neuen Kommissionsvorschlag bezüglich eines Mindestlohns äußerte sich auch Barbara Teiber. Erwerbsarmut und Prekarität seien – so Teiber – auch in Österreich ein zunehmendes Phänomen, etwa im Dienstleistungssektor. Viele Menschen könnten von ihrer Arbeit nicht mehr leben. In Österreich sei man stolz auf eine KV-Abdeckung von 98 %. Im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung eines europäischen Mindestlohns könnte dieser etwa nur für jene Länder vorgesehen werden, die eine kollektivvertragliche Abdeckung von unter 70 % aufweisen.
Dem entgegengesetzt trat Maxime Cerutti gegen einen europäischen Ansatz ein. BusinessEurope sehe darin einen Eingriff in die unterschiedlichen nationalstaatlichen Systeme. Ein möglicher Ansatz wäre, im Rahmen des europäischen Semesters ein Monitoring in manchen Ländern vorzusehen. Hier forderte Cerutti auch eine Bindung des Mindestlohns an die Produktivitätssteigerung. Als weitere Maßnahme könnte man beratende Ausschüsse, welchen Organisationen der ArbeitergeberInnen und ArbeitnehmerInnen angehören sollen, einrichten.
Agnes Jongerius verwies darauf, dass die Initiative aus den Reihen der S&D-Fraktion vorgeschlagen wurde und ihre Fraktion für dieses Vorhaben kämpfen werde. Es habe sich bereits gezeigt, dass Wirtschaftswachstum nicht automatisch zu einer Aufwärtskonvergenz bei den Löhnen führe. Im Sinne der EGB-Kampagne „Europe needs a pay rise“ brauche es nicht nur einen Mindestlohn, sondern allgemeine Lohnerhöhungen.
Weiterführende Informationen
AK EUROPA: Starkes soziales Europa: Neue EU-Kommission stellt Mitteilung vor
Mitteilung: Ein starkes soziales Europa für einen gerechten Übergang
A&W Blog: Die Hierarchisierung der Märkte in der Plattformökonomie
A&W Blog: Protest oder Verhandeln? Gewerkschaftliches Handlungspotenzial im Plattformkapitalismus
ÖGB-Presseaussendung: Schwieriger Kampf für faire Löhne in Europa